Jessica Keiser liebt ihr grün-weißes Kontrastprogramm. Die 25-Jährige ist eine der besten Snowboarderinnen der Schweiz. Zur Saison 2019/2020 hat sie als Siegerin der Europacup-Gesamtwertung sogar den Sprung in den Weltcup-Kader von Swiss-Ski geschafft. Für den Erfolg auf der Piste spielt aber auch ihre zweite Leidenschaft eine große Rolle: Vor zwei Jahren hat sie das Golffieber gepackt. Für diese Story hat mir Keiser erzählt, warum sie die Runden mit Freunden so schätzt und was ein Profisportler von Golfern lernen kann.
Im Juli geht es schon wieder auf den Gletscher. Bei 30 Grad. Die Schulkinder haben Sommerferien, die Golfer sind Mitten der Saison. Manchmal, sagt Jessica Keiser, würde sie das Snowboard zu dieser Jahreszeit tatsächlich noch ein bisschen in der Ecke stehenlassen. Lieber raus ins Grüne. Mit Freundinnen an den See oder – noch besser – auf den Golfplatz. Einfach Mensch sein. „Nichtsdestotrotz gehört für uns als Wintersportler aber natürlich das Gletschertraining dazu. Und es macht ja Freude“, sagt die 25-Jährige. Dass es den Aufwand wert ist, zeigt der Werdegang der jungen Schweizerin. Weil sie im Frühjahr 2019 die Gesamtwertung des Europacups gewonnen hat, darf Keiser ab Dezember im Weltcup starten. „Ich freue mich, mit den besten Athletinnen der Welt von Rennen zu Rennen zu reisen und mich dabei zu messen. Das Umfeld wird jetzt natürlich auch alles professioneller und wahrscheinlich schon eine große Umstellung für mich“, sagt sie.
Es geht um Spaß, nicht um Ranglistenpunkte
Die nötige Kraft, auch die mentale Stärke für die Jagd nach Bestzeiten auf der Piste holt sich die Snowboarderin auf dem Golfplatz. Vor zwei Jahren ist sie über Sponsoren zum ersten Mal in den Golfpark Holzhäusern gekommen, einer Anlage, die von Migros betrieben wird. „Ganz ehrlich: Ich habe lange wenig von diesem Sport gehalten und gedacht, es sei bloß was für Rentner. Aber jetzt bin ich Feuer und Flamme.“ Generell nimmt’s Keiser beim Golfen gelassen. Weil es für sie das Hobby ist, bei dem sie vom anstrengenden Alltag einer Profisportlerin am besten abschalten kann. Weil es mal nicht nur ums Gewinnen und Verlieren geht. Nicht darum, möglichst viele Ranglistenpunkte zu sammeln. Und trotzdem gibt es Tage, an denen sie vom Ehrgeiz gepackt wird und auch auf dem Platz besser werden will. „Das Schöne ist doch: Beim Golf arbeitet man an sich selbst. Man ist selbst für seinen Erfolg verantwortlich. Und das ist eine Parallele zum Snowboarden. Denn auch auf der Piste bin ich ganz alleine dafür zuständig, die perfekte Linie zu fahren. Ich habe einfach ein perfektes Trainerteam um mich, doch richten muss ich es immer noch selbst“, erzählt die 25-Jährige aus Oberdorf im Kanton Nidwalden.
"Man darf nie zu früh aufgeben"
Das gelingt auf der Piste und auf dem Platz mal so, mal so. Keiser lacht: „Ich bin die beste Werbeträgerin für Titleist. Denn meine Bälle liegen nach einer Runde überall auf dem Platz verteilt.“ Die Weltcup-Athletin nutzt den Golfsport aber auch als Mentaltraining. Sie erklärt: „Ich vergleiche es gerne so: Im Winter fahre ich Tor um Tor, Lauf um Lauf. Da kann es schnell passieren, dass ich das erste Tor nicht richtig erwische und auch am zweiten zu spät dran bin. Das muss ich analysieren, abhaken und besser machen. Genau wie beim Golf. Da stehe ich nach jedem Schlag an diesem Punkt. Kurz gesagt: Man darf nie zu früh aufgeben. Nicht auf der Piste und schon gar nicht auf dem Golfplatz.“
"Wer hoch hinaus will, muss sich auch hohe Ziele stecken"
Am Telefon habe ich sie als ehrgeizige und extrem freundliche und offene Sportlerin kennengelernt. Ihre gute Laune steckt an, ihr Ehrgeiz wirkt nicht aufgesetzt. Im Gegenteil. Sie sagt: „Wer hoch hinaus will, muss sich auch hohe Ziele stecken.“ Für das Snowboarden bedeutet das: Keiser will ihr Premieren-Jahr in der höchsten internationalen Liga, dem FIS-Snowboard Weltcup, unter den Top 20 abschließen. Und sie träumt von den Olympischen Winterspielen. Die finden das nächste Mal 2022 in Peking statt. Keiser wäre dann 28. Das perfekte Alter für den großen Triumph? „Das kann ich Dir im Jahr 2022 beantworten“, sagt Keiser und lacht. Für ihre Golf- Karriere hat sie sich vorgenommen, im kommenden Jahr „einfach wieder öfter auf den Platz zu kommen“. Weil sie 2019 für 13 Wochen lang im Zuge der Sportförderung bei der Armee verbracht hat, fehlte ihr heuer dazu oftmals die Zeit. Ob’s mit dem vollen Terminkalender einer Profisportlerin besser wird? Keiser sagt: „Es müssen ja nicht immer 18 Loch sein. Es reicht ab und zu auch ein 9-Loch-Spiel oder ein Besuch auf der Driving Range.“
Fotos: Remy Steiner/Jessica Keiser bei Instagram